Gemeindearbeit
Seit 2012 bin ich als Rabbiner in den neuen Bundesländern tätig: bis 2018 als Gemeinderabbiner in Dresden, seitdem als Landesrabbiner von Thüringen. Die Gemeinden in Dresden und Erfurt zählten zur Zeit der Wende 1989 beide weit unter 100 Mitgliedern (Dresden 61, Erfurt 26 Mitglieder). Insofern ist die Anzahl von heute weit über 600 Mitgliedern positiv aufzufassen. An den Zahlen lässt sich erkennen: Über 90 Prozent der Mitglieder haben ihren Ursprung in der ehemaligen Sowjetunion. Besonders in den neuen Bundesländern sind viele Gemeinden durch die Zuwanderung überhaupt erst wieder entstanden.
Das kann man auch an Synagogenbauten, beispielsweise in Dresden, Chemnitz, Cottbus und Rostock, erkennen. Diese würde es ohne die Zuwanderung wahrscheinlich nicht geben. Allerdings leiden die meisten Gemeinden darunter, dass besonders junge Menschen in die alten Bundesländer gehen, weil dort die beruflichen Perspektiven besser sind. Daher sinken die Mitgliederzahlen seit einigen Jahren. Hier gilt es für die Gemeinden mehr Anreize für junge Familien, beispielsweise einen jüdischen Kindergarten, zu schaffen.
Die Gemeindemitglieder bringen unterschiedliche religiöse Hintergründe mit. In der Sowjetunion war es vielen leider nicht möglich, ihr Judentum zu leben. Trotzdem sind die Traditionen nicht völlig verloren gegangen. Gemeindemitglieder erzählten mir darüber, dass sie die Feiertage zu Hause gefeiert haben, häufig mit den traditionellen Speisen für den jeweiligen Feiertag.
Ich betrachte es als große Verantwortung, die Gemeindemitglieder dabei zu unterstützen, mehr über die jüdischen Traditionen zu lernen. So gibt es einige, die selbst im hohen Alter versuchen, ihr Leben mehr und mehr nach den Geboten der Tora auszurichten. Daher gebe ich wöchentlich Unterricht und erkläre in der Synagoge den jeweiligen Wochenabschnitt. Meine Ausführungen werden ins Russische übersetzt, damit alle Beter dem Inhalt ohne Schwierigkeiten folgen können.
Die Vorbereitung auf jeden Schabbat und Feiertag ist für mich ein wichtiger Teil meiner persönlichen Entwicklung, wie es so schön heißt: „Wer lernt, um unterrichten zu können, dem gewährt man zu lernen und zu lehren.“ (Sprüche der Väter, Kapitel 4,6)
Alexander Nachama ist seit 2018 Landesrabbiner von Thüringen. Er absolvierte die Rabbiner- und Kantorenschule „Aleph“ 2005 und im Anschluss ein Studium in Judaistik. 2013 wurde er vom Abraham Geigern Kolleg zum Rabbiner ordiniert. Mit dem Rabbinerberuf setzt er eine Familientradition fort.